„Nicht kritikfähig“ oder „nicht zu Kritik fähig“?

Sie kennen das bestimmt: Es gibt Menschen, die haben ein unglaublich großes Interesse am Leben ihrer Mitmenschen und neigen dazu, jedes noch so kleine Detail zu kritisieren – auch, wenn es sie eigentlich gar nichts angeht. Ich nenne sie gerne die „Besserschmitts“ dieser Welt. So ein waschechter Besserschmitt liebt es, seine Meinung ungefragt in bester Absicht kundzutun, um die Menschen, die ihm am Herzen liegen, in ihrer persönlichen Weiterentwicklung zu unterstützen. Nie würde er zugeben, dass ihm die Zufriedenheit seiner Mitmenschen die eigene Unzufriedenheit nur noch stärker vor Augen führt und er deshalb alles dransetzt, seinem Umfeld die Laune zu verderben. Darüber hinaus ist ein Besserschmitt felsenfest davon überzeugt, der Menschheit mit seinen guten Ratschlägen einen unschätzbaren Dienst zu erweisen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, konstruktive Kritik ist etwas Wunderbares. Wie sagte schon Mark Twain so schön: „Ich habe kein Problem mit Kritik, aber sie muss mir gefallen“. Wenn man hier auch im ersten Moment schmunzeln muss, etwas Wahres ist da schon dran. Kritik ist nie wirklich angenehm, aber wenn ich den Empfänger erreichen will, dann muss ich meine Worte so wählen, dass er mir zuhört und nicht schon beim ersten Satz die Rollläden runtergehen und die Verteidigungsmechanismen anspringen.

Besserschmitts Absicht offenbart sich oft schon in den ersten Sätzen, da schon der einleitende Wortlaut wie „Ich habe ja immer gesagt, dass…“ oder „Wenn du mich mal vorher gefragt hättest, dann…“ vor Genugtuung trieft. Ein destruktiver Kritiker wie der Besserschmitt gönnt seinen Mitmenschen den blauen Himmel nicht, weil er sich konstant von einer Regenwolke verfolgt fühlt. Der Empfänger seiner geballten Lebenserfahrung, jemand wie die arme Frau Meier beispielsweise, hat an diesem Punkt eigentlich nur eins: die Nase voll!

Ein Besserschmitt in voller Fahrt kennt kein Halten mehr

Ist ein Besserschmitt erst einmal in Fahrt, gibt es kein Halten mehr: Die neue Wandfarbe im Flur von Frau Meier, die diese mit viel Liebe ausgesucht hat, hat ganz klar den falschen Farbton und nimmt dem Raum das Licht, die Spülmaschine in der neuen Küche ist ungünstig platziert und hemmt den Arbeitsablauf und das neue Sommerkleid betont unvorteilhaft die nicht mehr ganz so knackige Figur (Ist auch aus Polyester, oder? Tststs). Bei der Kindererziehung hat Frau Meier schon von Anfang an die Zügel viel zu locker gelassen und die Entwicklung des Nachwuchses kann damit nur zum Scheitern verurteilt sein – was sich ohne Zweifel auch negativ auf die langjährige Ehe der Meiers auswirkt. Man kennt das ja! Trifft man einen Besserschmitt zufällig beim Einkaufen im Supermarkt, traut man sich kaum, die Fertigpizza aus der Tiefkühltruhe zu nehmen, denn wie ungesund die ist, bekommt man so detailliert erklärt, dass einem ohnehin der Appetit darauf vergeht.

Kritik ist per Definition eine „prüfende Beurteilung und deren Äußerung in entsprechenden Worten“ oder – auf gesellschaftspolitischer Ebene – eine „kritische Stellungnahme als Mittel zur politischen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung“ (Quelle: Google). An vielen Stellen macht das ohne Zweifel Sinn – von einem Besserschmitt wird Kritik jedoch oft als Ventil für Neid und Missgunst missbraucht.

Wenn sich Frau Meier für die Wandfarbe „Caramel“ in ihrem Flur entschieden hat und von dem Besserschmitt erklärt bekommt, der Farbton würde an den Stuhlgang des frisch gestillten Enkels erinnern, bringt das Frau Meier lediglich in Rage, aber in ihrer persönlichen Entwicklung keinen Schritt weiter.

Wenn Frau Meier mit Hexenschuss im Wartezimmer des Hausarztes sitzt und von dem Besserschmitt erklärt bekommt, dass damit ja wohl zu rechnen gewesen sei, weil die Arbeitszonen der neuen Küche nicht ergonomisch aufeinander abgestimmt wären, fördert das nur die Gewaltbereitschaft von Frau Meier, die schnell zum Gegenstand einer kritischen, gesellschaftspolitischen Debatte werden kann.

Die Kinder eines Besserschmitts essen natürlich keine Fertigpizza, sondern nur selbstgemachte, glutenfreie Pizza Margherita mit veganem Käse, haben somit auch keinerlei Allergien oder sonstige Auffälligkeiten – dafür aber auch keinen Spaß beim Essen und anhaltend übelriechende Blähungen.

Wenn der Gaul nicht nur durchgeht, sondern sich auf und davon macht…

Wenn Frau Meier dann irgendwann der Gaul durchgeht und sie dem Besserschmitt in deutlichen, vielleicht auch destruktiven Worten sagt, er solle seine Nase nicht in Angelegenheiten stecken, die ihn nichts angehen, bemerkt der Besserschmitt bedauernd, dass Frau Meier nicht mal im Entferntesten kritikfähig sei…

Ich bin sicher, wir alle kennen mindestens einen Besserschmitt und teilen so manch leidvolle Erfahrung. Wenn wir also wieder in Gefahr laufen, ihm auf den Leim gehen, dann sollten wir uns das eigentliche Problem offen vor Augen halten: nicht wir sind NICHT kritikfähig, sondern in der genetischen Struktur eines Besserschmitts ist die Anlage zu wirklich konstruktiver Kritik nicht vorgesehen! In diesem Sinne… irgendwas ist halt immer!  😉

 

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