Wenn ich mich gerade in meiner Küche umsehe, kann ich nur in stummer Verwunderung den Kopf schütteln. Ohne Frage müssen sich Kinder ausprobieren und sollen in ihrer Entwicklung zu eigenständigen Individuen unterstützt werden. Warum diese Entwicklungsphasen jedoch regelmäßig in meiner Küche stattfinden müssen, bleibt mir ein Rätsel.
An den innerhalb von wenigen Tagen geplünderten Kühlschrank habe ich mich gewöhnt, auch wenn ich zum Wochenende eine Wagenladung Lebensmittel in unser Reihenhäuschen karre, die der Truppenversorgung vor Winterfell gleichkommt (für Unwissende: Wir sprechen von Game of Thrones). Ich vermute, meine Kinder sind Teil einer geheimen Studie des Bundesministeriums für Umwelt, die unter dem Titel „All you can eat“ das (Fr)Essverhalten von Teenagern analysieren soll. Gerüchten zufolge vermutet man nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Artenvielfalt in Deutschland.
Wie auch immer, die oben erwähnten Entwicklungsphasen führen in regelmäßigen Abständen zu recht eigenartigen, ernährungstechnischen Experimenten und dann begegnen mir in meiner Küche die merkwürdigsten Dinge.
Schwacher Trost: Es ist nur eine Phase!
Seit einiger Zeit ist meine große Tochter auf dem Gesundheitstrip – also zwischen den Phasen von Pfannenkuchen mit Schoko-Nuss-Creme oder Milchreis mit einer satten Schicht Zimtzucker obendrauf – und so finde im Schrank neben meinem heißgeliebten Wacker-Espresso plötzlich eine Tüte mit dunklen Körnchen, die aussehen wie Käfer ohne Beinchen. Während ich misstrauisch die Tüte beäuge und sicher bin, Krabbelgeräusche zu hören, wird mir erklärt, dass es sich hierbei um Chia-Samen handelt… Führend auf der Rangliste des „Superfoods“ und mir bis dato völlig unbekannt.
In der großen Küchenschublade türmen sich Haferflocken, Kokosflocken, getrocknete Goji-Beeren, Bio-Algenpulver, Flohsamenschalen (ich hoffe inständig, es ist nicht das, was ich vermute), Ahornsirup und eine Variation von Bio-Nüssen. Im Obstkorb liegen mehrere Avocados (Gut! Kenne und mag ich auch), Datteln, frische Feigen und einige Granatäpfel.
Gehört habe ich von dem Hype um Früchte und Samen schon, aber bisher hatte dieser Trend meine Wahrnehmung nur am Rande erreicht. Mäßig interessiert höre ich mir den Vortrag meiner Tochter über die geradezu revolutionäre Wirkung dieser Wunder-Lebensmittel an. Der regelmäßige Verzehr beugt zahlreichen Krankheiten vor, macht satt und schlank gleichzeitig und alle Nahrungsmittel, die in diese Kategorie fallen, haben zudem auch ein unglaubliches, antioxidatives Potential. Vergessen Sie alles, was Sie jemals über Popeye und die magische Wirkung von Spinat gehört haben; verglichen mit den trendigen „Superfoods“ kann Iglu mit dem „Blubb“ einpacken.
Billig ist der Spaß allerdings nicht. Da es sich bei den „Superfoods“ meistens um recht exotische Früchte und Beeren handelt, erhöht sich das Lebensmittelbudget drastisch, vor allem, bei den Mengen, die man braucht, um Teenager satt zu bekommen. Aber gut, ich will ja nicht jede Idee im Keim ersticken und so lasse ich den Dingen zunächst ihren Lauf. Seit gut zwei Wochen wird hier nun kraftvoll gerührt, geschüttelt, geschreddert und gemixt.
Energiegeladen und voller Elan? Fehlanzeige…
Mit Verwunderung stelle ich jedoch fest, dass der zu erwartende Energieschub, den diese Vitamin- und Mineralstoffbooster mit sich bringen müssten, ausbleibt. Ich hatte damit gerechnet, dass es meine Kinder morgens um sechs voller Elan aus dem Bett und nach einem kurzen Power-Workout vor dem offenen Fenster unter die kalte Dusche drängen würde. Gut, vielleicht war das etwas zu hoch gegriffen, aber zumindest sollten sie doch jetzt längere Zeit wachbleiben können, ohne am Frühstückstisch bei fehlender Ansprache direkt wieder einzuschlafen. Der Gang ist weiterhin schlurfend und lässt nicht einen Hauch von Elan erkennen.
Dass „Superfoods“ schlank macht, mag stimmen, aber von satt kann auch nicht die Rede sein – zumindest nicht bei den vorgegebenen Mengen. Spätestens zwei Stunden nach dem Flohsamen-Goji-Chia-Avocado-Ananas-Power-Frühstück irren sie schon wieder mit suchendem Blick umher und nicht mal der nur halbaufgetaute „Pfundskerl mit den sieben Kräutern“ ist vor ihnen sicher.
Auch die stimmungsaufhellende Wirkung bleibt aus. Nachdem sich der erste Hype um den ernährungstechnischen Wandel im Hause R. gelegt hat, sickert langsam die Erkenntnis durch die pubertätsbedingt störungsanfälligen Synapsen, dass für die Zubereitung dieser Powermahlzeiten enorm viel Zeit benötigt wird. Gute achtundzwanzig Minuten dauert es, um sich etwas zusammen zu rühren, das auf den ersten Blick wie eine gräulich-braune Schlammkugel mit Resten des Ausverkaufs in der Kleinmarkthalle kurz vor Feierabend aussieht.
Während der Nachwuchs noch fest mit dem entsprechenden Kick rechnet, habe ich mich entschieden: Ich habe gelesen, dass regelmäßiger Schlafentzug auch bei gesunden Menschen schizophrenieähnliche Zustände hervorrufen kann. Um kein Risiko einzugehen, verzichte ich lieber darauf, Teil dieser gruppendynamischen Bewegung in unserem Haus zu werden und schlafe morgens sicherheitshalber gleich mal achtzehn Minuten länger. Nicht auszudenken, wenn sich in mir plötzlich das „Ich“ eines radikalen Superfoods-Veganers entwickeln und ich Gefallen an diesem Pamps finden würde… Mehrere von mir kann man meinem unmittelbaren Umfeld ohnehin nicht zumuten und so drehe ich mich sicherheitshalber noch einmal auf die andere Seite und beiße später genüsslich in mein Frühstücksbrötchen, das zentimeterdick mit Apfel-Birne-Zimt-Marmelade bestrichen ist. Mit Kindern wird es wirklich nie langweilig; Sie wissen schon, irgendwas ist immer! 🙂
Love iit 😂 So manches Superfood hat sich auch in unseren Haushalt verirrt aber die Schlacht gegen Nutella und Co verloren. Jetzt fristet es in der hintersten Küchenschrank Ecke bis zum Ablaufdatum sein Dasein. Meine Dame des Hauses hat entdeckt das nichts über Genuss geht und konzentriert sich daher lieber auf die einschlägigen Instagram Fitness Ratschläge. Seitdem ist es faszinierend zu sehen welche körperlichen Verrenkungen einen ultra flachen Bauch zaubern sollen 😜
Hier werden gerade merkwürdige Experimente mit einer Maske aus Kokosmilch gestartet; außerdem schwört sie darauf, dass Knochenmark gut für das Wachstum der Haare ist. Langsam macht mir das Angst… 😉