Kettenbrief & Co. – oder wenn nach 10 Tagen die Welt untergeht …

Ich habe sie schon in der Schule gehasst, da jedoch in erster Linie, weil ich sie etliche Male auf der klapprigen Reiseschreibmaschine meiner Eltern abtippen musste – ein sehr zeitintensives Unterfangen, da mein damaliges Zwei-Finger-Such-System noch ausbaufähig war. Zudem bestand häufig ein gewisser Zeitdruck, denn wenn die Botschaft nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums an eine vorgeschriebene Anzahl von Empfängern weitergeschickt wurde, bekam man nachts entweder Besuch vom Schwarzen Mann, einer nahestehenden Person drohte ein schreckliches Unglück oder man lief in Gefahr, dass die Liebe des Lebens unerkannt vorüberziehen würde. Letzteres kann ich glücklicherweise nicht bestätigen und bevor Sie weiter im Dunkeln tappen, worüber ich hier eigentlich spreche: die Rede ist von dem allseits bekannten Kettenbrief!

Diesen Unsinn in Papierform per Post zu verschicken, ist zum Glück fast aus der Mode gekommen, dafür erreichen sie uns dank fortschrittlicher Technologien heutzutage per Email, WhatsApp oder anderen Messenger-Systemen – bei Facebook bekommt man sie praktischerweise direkt ins eigene Profil gepostet. Eine sehr unschöne Variante der Kettenbriefe verbreitet Viren oder klaut Emailadressen, macht unerwünschte Werbung und bittet alle gespeicherten Kontakte um Geldspenden. Aber auch ohne diese „Beigabe“ nerven mich diese unzähligen Nachrichten ungemein.

Die damaligen Variationen in Papierform waren längst nicht so zahlreich wie heute – was vermutlich auch daran lag, dass das Abschreiben noch echte Handarbeit war. Die Inhalte ähnelten sich oft sehr und es ging meistens darum, dass dem Absender Glück, Erfolg, Reichtum und ewige Jugend versprochen wurde, wenn er innerhalb der nächsten zehn Tage diesen Brief an zehn unterschiedliche Empfänger weiterschicken würde. Die Option diese „Kette“ zu unterbrechen, bestand natürlich, aber wie oben schon erwähnt, klangen die angekündigten Konsequenzen ziemlich unangenehm und auch wenn ich an eine zwischen den Zeilen versteckte Manipulation des Schicksals nicht glaubte, blieb doch immer ein mulmiges Gefühl zurück. Es passierte … nichts, egal wie viele Kettenbriefe ich ins Leere laufen ließ.

Die angekündigte Schokoladenflut blieb aus

Viele kennen bestimmt auch noch den beliebten Schokoladen-Kettenbrief, nach dessen Erhalt man dem Absender eine Tafel Schokolade zuschicken und den Brief (ohne Schokolade) an neun weitere Empfänger senden sollte, die dann ihrerseits je eine Tafel Schokolade an den Absender – also an mich – zurückschicken würden. Habe ich mehrfach gemacht, sogar meine Lieblingssorte habe ich angegeben. Sie ahnen es vielleicht, zurück kam nicht eine einzige Tafel.

Die Kettenbriefe heutzutage haben eine geradezu erschreckende Vielfalt. Diese reicht von „Heute ist der Tag der Umarmung / des Kusses / des Lächelns oder des Teddybären! Schicke diese Nachricht an zehn Menschen weiter, die eine Umarmung, einen Kuss, ein Lächeln oder einen Teddybären gebrauchen können und du bekommst eine Umarmung, einen Kuss, ein Lächeln oder einen Teddybären zurück“ – virtuell natürlich. Ja, nun … das ist nett, wirklich, aber wenn schon, dann hätte ich gerne eine „echte“ Umarmung oder einen Kuss, ein Lächeln von einem lieben Menschen, der mir gegenübersteht und Teddybären – also ehrlich, Schokolade wäre heute immer noch lieber.

Beliebt ist auch: Hast du jemanden an einer schlimmen Krankheit verloren? Traust du dich diesen Beitrag für 24 Stunden in deinem Profil zu posten? Und dann? Versuchsweise habe ich mich mal getraut. Im günstigsten Fall bekommt man viele traurige Smileys mit tröstenden Kommentaren, im schlechtesten Fall blöde Bemerkungen und man ärgert sich hinterher schwarz darüber, mal wieder zu viel Privates preisgegeben zu haben.

Einige solcher Kettenbrief-Beiträge sind mittlerweile sehr zeitsparend und effizient, denn dort kann man in den Kommentaren DEN Menschen markieren, dem man zuletzt eine WhatsApp geschickt hat, mit dem man im Alter von 99 Jahren auf einem Motorrad in den Sonnenuntergang fahren, auf einer einsamen Insel stranden oder bei Nacht in den Sternenhimmel schauen möchte. Die freuen sich dann … und Millionen Facebook-Nutzer freuen sich mit. Das ist schön. Zumindest solange, bis sich die Menschen melden, die davon ausgegangen sind, dass man mit IHNEN auf einer einsamen Insel stranden oder in den Sternenhimmel schauen möchte – wieso man denn da den oder die XYZ markiert hätte.

Besonders grässliche Versionen des virtuellen Kettenbriefs sind auch solche, die ein Video als Anhang enthalten, in dem man zunächst von einer netten, gutaussehenden Frau mit blumigen Worten aufgefordert wird, diese Kette nicht zu unterbrechen, sondern die Nachricht so schnell wie möglich weiterzuleiten, sonst … und genau in dem Moment springt eine zerfetzte, sich im schlimmsten Stadium der Verwesung befindliche Zombie-Frau vor die Kamera und kreischt in ohrenbetäubender Lautstärke, sie würde heute Nacht unter meinem Bett liegen, sollte ich auf die Idee kommen, diese Nachricht zu löschen! Ich habe gezögert, aber nur kurz, und bin dann dieser freundlichen Aufforderung sofort nachgekommen – sicher ist sicher. Nicht wegen mir, aber vor dem Bett liegt ja der Hund; nicht auszudenken, wie sich meine kleine Fellnase nachts vor dieser Furie erschrecken würde. Da muss man Prioritäten setzen!

Stell dir vor, keiner schickt den Kettenbrief weiter und es passiert … NICHTS!

Aber mal ganz ernsthaft, ich finde Nachrichten dieser Art unglaublich nervig. Genau wie animierte Kalendersprüche, winkende Nikoläuse, singende Osterhasen, Glitzerherzchen oder schimmernde Regenbögen, auf denen Glücksbärchis Samba tanzen. Ich will auch nicht wissen, wann der Tag der starken Frauen, der Super-Heldinnen, der besten Mamas der Welt oder des besten Freundes ist und mein Bedürfnis, der virtuellen Welt mehrfach täglich mit standardisierten Posts mitzuteilen, dass ich meine Kinder, meinen Mann, den Hund oder einen guten Rotwein liebe, hält sich in Grenzen.

Sollte unter der Flut dieser Kettenbriefe eines Tages tatsächlich einer sein, der über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt, mein Handy explodieren lässt oder ich zur Strafe für meine Ignoranz von einem Meteoriten erschlagen werde, wäre das natürlich schlimm. Falls Ihnen dann der Sinn danach steht, dürfen Sie gerne als Nachruf winkende Engelchen, Glitzerwolken oder ein Halleluja-singendes Himmelstor posten, natürlich innerhalb von zehn Tagen, in zehn verschiedene Profile (Gruppen zählen nicht!). Die Entscheidung bleibt letztlich Ihnen überlassen und ich möchte ganz am Rande nur erwähnen, dass die Zombiefrau und ich mittlerweile richtig dicke Freundinnen geworden sind. 😉

 

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