Jeder Mensch hat gewisse Talente und kann ein oder zwei Dinge besonders gut… ich zum Beispiel bin eine begnadete Regisseurin meines eigenen Kopfkinos und entwickle Szenarien, die die Drehbücher aller Tatort-Reihen bis zur nächsten Jahrtausendwende mit genügend Material versorgen könnten.
Dieses Kopfkino – manche nennen es auch Gedankenschleifen – läuft insbesondere nachts auf Hochtouren. Zwischen 2 und 4 Uhr morgens, wenn sich andere Menschen wie mein Mann in einer ausgedehnten Tiefschlafphase befinden, genügt ein kleiner Gedanke im Halbschlaf und mein Kopf ist einsatzbereit. Thematisch bin ich offen für alles… Ob es um den Auslandsaufenthalt des jüngsten Tochterkindes, die Zahnreinigung unseres Hundes oder um das Leben im Allgemeinen geht – wenn auf etwas Verlass ist, dann darauf, dass mein Kopfkino für die Serie „Aber was ist, wenn…“ ähnliche viele Folgen produziert wie die Macher der „Lindenstraße“ (Generation Z, bitte googeln). Dem Panikmodus, der damit leider häufig verbunden ist, wäre allerdings auch der Spiegeleier-Vorrat von Mutter Beimer nicht gewachsen gewesen.
Von der Vielfalt meiner Gedankenschleifen bin ich oft selbst beeindruckt. Inmitten dieser teilweise recht kreativen Weltuntergangsszenarien kommt mir manchmal die Frage meines Mannes in den Sinn: „Wenn bei dir schon immer Kopfkino läuft, warum denkst du dir nicht mal was Positives aus? Damit geht’s dir besser und du sparst Energie.“
Kopfkino im Drama-Modus
Da hat er vermutlich Recht. Besser gehen würde es mir damit in der Tat und die Energie, die mir diese konstruierten, kleinen oder größeren Katastrophen rauben, könnte ich anderweitig deutlich besser gebrauchen… Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis haben ergeben, dass ich mit dem „Kopfkino-Phänomen“ nicht alleine bin, sondern dass es etlichen Menschen so geht – vorwiegend Frauen. Aber warum ist es so viel leichter, sich in negativen Gedankenschleifen zu verlieren, als mit positiven Erwartungen durchs Leben zu gehen?
Zumindest für mich kann ich sagen, dass der Grundsatz meiner Mutter, ich solle am besten immer mit dem „Worst-Case“ rechnen, dann könne ich nur positiv überrascht werden, nicht gerade hilfreich war, um eine konstant optimistische Lebenseinstellung zu entwickeln. Aber es gibt sie ja doch, die geborenen Optimisten, die durch nichts und niemanden zu erschüttern sind und ihre anerzogenen Muster zum Teufel jagen… Wie machen die das??
Neugierig geworden, habe ich mich mit einem psychologisch gebildeten Menschen unterhalten und bin zumindest ein bisschen schlauer geworden… Mir wurde erklärt, dass unser Gehirn evolutionär darauf programmiert ist, Gefahren und potenzielle Bedrohungen besonders stark wahrzunehmen. Dieses Phänomen wird als „negativity bias“ bezeichnet und stammt aus einer Zeit, in der das schnelle Erkennen von Risiken und Gefahren überlebenswichtig war. Gut, jetzt hat der Auslandsaufenthalt des jüngsten Tochterkindes in Südafrika zwar deutlich mehr Gefahrenpotential als die anstehende Zahnreinigung unseres Hundes unter Vollnarkose – mein Kopfkino macht da jedoch keinen Unterschied und weist in beiden Fällen auf erschreckend viele mögliche Risiken hin.
Dazu kommt, fügte die Expertin hinzu, dass negative Gedanken oft emotional intensiver sind und länger nachwirken, was sie im Kopfkino besonders präsent macht. Das Gehirn springt also quasi automatisch zu solchen Szenarien, denn es braucht nur einen winzig kleinen Anstoß und schon springt der Motor an. Positive Gedanken und Szenarien erfordern dagegen bewusstere Anstrengung und aktive Steuerung.
Das kann ich bestätigen! Die Vorstellung, dass das Tochterkind vom Löwenrudel gefrühstückt, vom Elefanten überrannt oder der Hund aus der Narkose nicht mehr aufwacht, hält mich die restliche Nacht wach. Dass das Tochterkind auch unversehrt und glücklich mit vielen neuen Erfahrungen von der Abenteuerreise zurückkommen könnte, klingt fast zu einfach und irritiert mich. Auch die Tatsache, dass die meisten Hunde eine kurze Vollnarkose bis ins hohe Alter unbeschadet überstehen, lässt mein Kopf erstmal außer Acht, denn es muss ja einen Grund haben, dass man eine mehrseitige Einverständniserklärung für die OP unterschreiben muss, in der über mögliche Risiken aufgeklärt wird – ODER? Ebenfalls unbestritten ist, dass Frauen diese Art Kopfkino häufiger erleben als Männer. „Mental overload“ nennt man das, wenn das Gehirn nur schwer abschalten kann und in Endlosschleife Sorgen und Ängste befeuert.
Es braucht nur einen wunderbaren Gedanken…
Aber es gibt auch gute Nachrichten, denn angeblich lässt sich diesem Muster bewusst gegensteuern – zum Beispiel durch Achtsamkeitstraining, positive Visualisierung und einen bewussten Fokus auf eine positive Wahrnehmung. Man muss sich das wie einen Muskel vorstellen, den man trainieren könne. Anfangs genügt ein kleiner positiver Ansatz, den man weiterentwickeln kann, bevor man sich an die großen Themen wagt, die einem den Schlaf rauben.
Spontan kommt mir die Geschichte von Peter Pan in den Sinn… Du brauchst nur einen wunderbaren Gedanken, sagt er zu Wendy, und dann kannst du fliegen… Gut, ein wenig Feenstaub war wohl auch im Spiel und fliegen werden wir auch nicht, aber vielleicht stoppt der Fokus auf das Positive wirklich das Wirbeln im Kopf und es wird ruhiger in uns – und um uns herum.
Anfangs ist diese mentale Wende um gefühlte 180 Grad nicht so leicht und erfordert wie oben geschildert konstante Übung, aber lassen Sie sich nicht entmutigen: Unser Kopfkino hat keinen festen Spielplan, wird sind die RegisseurInnen! Also schnappen wir uns die mentale Klappe und drehen nur die Szenen, die wir wirklich sehen wollen! 😉
Das hast du toll beschrieben, liebe Susanne, was da so in unseren Köpfen vorgeht! Und die Erläuterung, wie wir es verbessern können, ist auch echt klasse – hatte ich schon mal gelesen, aber das Training mit fiesem ‚Muskel‘ fällt mir immer noch schwer.
ABER: Übung macht uns zur Meisterein ❤️☺️
Ganz lieben Dank für dein liebes Feedback. Ich versuche auch, meinen Muskel fleißig zu trainieren, habe ganz oft Muskelkater und muss den inneren Schweinehund in Schachhalten. Aber vielleicht ist genau das im Leben auch unsere Aufgabe. Drück dich! <3