Ist doch nicht meins

Ist doch nicht meinsEs ist nicht meins, aber unser!

Eine Woche Ferien von meinem Alltag und ich liege im Bett meines wunderschönen Ein-Zimmer-Appartements fast direkt am Strand einer ostfriesischen Insel. Meiner Lieblingsinsel. Wangerooge! Diese Woche gehört nur mir und ich bin wildentschlossen, sie bestmöglich zu nutzen.

Seit gestern ist die Ferienwohnung neben mir bezogen und was ich von dort am ersten Tag vernehme, lässt mich kurzzeitig überlegen, ob ich nicht doch mal den wirklich nur selten durch akute Noteinsätze geforderten Insel-Polizisten aktivieren soll. Es dröhnt, es kreischt, es scheppert – mein Eindruck ist, dass sich entweder die komplette Familie untereinander prügelt oder die Ferienwohnung in ihre Einzelteile zerlegt wird. Zu guter Letzt fliegt nach dem nervenaufreibenden Fußball-Thriller Deutschland – Italien noch der Wäscheständer auf den Balkon und ich sitze kerzengerade im Bett. Als ich am nächsten Vormittag höre, wie sich die Tür öffnet, komme ich nicht umhin, mal einen vorsichtigen Blick durch den Türspion zu werfen und zu schauen, in welchem Zustand meine Nachbarn wohl ihre Wohnung verlassen. Und da klärt sich zumindest ein Teil des dumpfen Dröhnens ziemlich schnell auf. Drei Kids vom beginnenden bis zum dicksten Teenageralter zischen auf Inline Skates aus der Wohnung und donnern direkt gegen die Aufzugstür. Kawumm…. Der verzweifelte Vater weist zwar darauf hin, dass man die Inliner doch bitte unten anziehen möge, weil das Fahren zum einem im Hausflur verboten sei, es zum anderen „vielleicht auch etwas laut sein könnte“. Die Mutter, die neben dem Vater auftaucht, fügt noch hinzu, dass das Inlinern auch innerhalb der Wohnung für Möbel und Parkett „nicht so günstig wäre“. Und dann fällt seitens des ältesten Sohnes der Satz, bei dem ich doch von den Eltern deutlich mehr Reaktion erwartet hätte, als ein resigniertes Kopfschütteln und das Schließen der Wohnungstür: „Na und, ist doch nicht meins!“ Sprach’s und verschwand mit seinen Geschwistern stampfend und grölend auf der Treppe. Um dem Ganzen vermutlich wenigstens ein bisschen Nachdruck zu verleihen, donnerte der Vater dann mit einem solchen Schwung die Wohnungstür zu, dass meine ebenfalls zu wackeln begann – na klar, war ja auch nicht seine.

Verstehen Sie mich nicht falsch – ich habe selbst drei Kinder und weiß, dass es keine Ferienwohnung braucht, um auf unmögliche Ideen zu kommen wie Grassamen auf einem Teppich auszusäen, weil es draußen regnet (!), im Wohnzimmer Fußball zu spielen und die Deckenlampe abzuschießen oder eben mit allen möglichen Fahrgeräten durch das Haus zu brettern, dass es nur so kracht. Aber unser Haus ist in dem Falle „meins“ und es gibt eben gewisse Regeln, was geht und was nicht. Ich möchte mich dort auch wohlfühlen und lege Wert darauf, dass es annähernd in dem Zustand bleibt, in den es mein Mann und ich mit viel Schweiß, Arbeit und Liebe versetzt haben. Und was in unseren vier Wänden gilt, das gilt natürlich auch für den Aufenthalt in anderen Domizilen.

Dieser Satz hat mich erschüttert „Es ist doch nicht meins!“, weil er für so vieles steht, was einem heute in der Gesellschaft begegnet. Wir möchten gerne viele Annehmlichkeiten im Leben nutzen und es so schön haben wie möglich, damit sich vieles zumindest so anfühlt, als wäre es „meins“. Wir fahren an Urlaubsorte wie diesen, in eine neu gebaute Hotelanlage, die mit viel Liebe und Sorgfalt eingerichtet wurde und die mit der Ausstattung der Appartements fast keinen Wunsch offenlässt – abgesehen davon, dass diese nicht dafür ausgelegt sind, auf Inlinern durch die Zimmer zu jagen. Sie sind auch nicht dermaßen schallisoliert, dass dieses zweifelhafte Vergnügen an den Bewohnern der umliegenden Ferienwohnungen vorbeigeht. Und wenn ich dann den Mitarbeiter eines Reinigungsunternehmens der Insel sehe, der auf den Knien mit einem Schwamm die schwarzen Streifen Stufe für Stufe abschrubben muss, die die Kids mit ihren Inliner dort hinterlassen haben und der die Schmierspuren an der Wand überpinselt, dann fühle ich mich mies, obwohl ich gar nichts dafür kann.

Wir möchten gerne, dass sich alles so lange anfühlt, als wäre es „meins“, solange es schön, neu und gepflegt ist und uns keine Arbeit macht. Nicht mehr „meins“ ist es merkwürdigerweise dann, wenn es auch nur ein kleines bisschen Engagement erfordert, es in diesem Zustand zu erhalten, es pfleglich zu behandeln oder wenn es dann abgenutzt, verdreckt und kaputt ist.

Dafür müssen wir gar nicht bis zu diesem Ferienappartement gehen, das begegnet uns an jeder Ecke. Wir können noch so viele Mülleimer in öffentlichen Parks oder auf Spielplätzen aufstellen, unendlich viele Hundekottütenautomaten bestücken oder noch mehr öffentliche Toilettenboxen aufbauen – es ist für viele Menschen leider immer noch ein unüberwindbares Problem, wenn sich der Mülleimer auf der falschen Seite der Parkbank befindet oder der Baum näher ist als das öffentliche Toilettenhäuschen (und so verdreckt wie die teilweise sind, sind die ja auch nicht „meins“). Man kann einem Hund offensichtlich nicht beibringen, seinen Haufen nicht direkt neben der Rutsche oder dem Sandkasten zu machen und es für die Besitzer anscheinend ein nicht zu bewältigender Kraftakt, ein paar Meter bis zum nächsten Tütenspender zu laufen, um die Hinterlassenschaft mit einem Plastikbeutel zu beseitigen. Warum auch? Park und Spielplatz sind nicht „meins“, genauso wenig wie öffentliche Toiletten, Bahnhöfe, Schulen oder Sportplätze. Nachdem wir dann also unseren Dreck überall abgeladen haben, ist die Erwartungshaltung da, dass irgendjemand all das wieder „schön“ macht, damit wir uns so wohlfühlen als wäre es „meins“.

Mit dieser Haltung wundern wir uns dann, dass unsere Kinder ihre Zimmer nicht mehr aufräumen, sich für ihren eigenen Dreck und ihr Chaos nicht verantwortlich fühlen und alles dort fallen und stehen lassen, wo sie gerade sind? Da ist sie doch, die berühmte Vorbildfunktion.

Dehnen wir dieses Problem auf Themen wie den Klimawandel aus, den verschwenderischen Umgang mit den immer knapper werdenden Ressourcen dieser Erde oder die verheerenden Kriegszustände in einigen Ländern, dann begegnen wir auch dort leider immer wieder ähnlichen Argumenten, die alle auf den Punkt zusammenlaufen „Es ist doch nicht meins“ und geht mich damit auch nichts an. Und im Stillen warten wir auch hier auf den Putztrupp, der endlich mit all den Missständen aufräumt und der sich endlich mal verantwortlich fühlt.

Für gewisse Urlaubsdomizile ist eine „Endreinigung“ buchbar – allerdings ist das kein Freifahrtschein dafür, sich in der vorübergehenden Unterkunft mal so richtig gehen zu lassen. Der Job des Reinigungspersonals unterliegt keiner gesellschaftlichen Hierarchie, sondern ist ein bezahlter Job wie jeder andere, und der Respekt gegenüber den Menschen, die dafür sorgen, dass wir uns wie zu Hause fühlen, sollte sich in unserem Verhalten spiegeln.

Was unser gesellschaftliches und kulturelles Miteinander angeht, da gibt es keine „Endreinigung“, keinen Reinigungstrupp, der die Schäden wieder behebt, die wir verursacht haben. Da ist jeder Mensch verpflichtet, in seinem Umfeld mit allem, was uns die Erde bietet, so achtsam und maßvoll wie möglich umzugehen. Ein erster Schritt wäre vielleicht schon getan, wenn wir uns vor Augen halten würden, Vieles ist vielleicht nicht „meins“, aber es ist „unsers“!

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