Tödliche Leidenschaft (Kurzgeschichte)

Erdbeeren

Sinnliche Früchte….

Ich lag mit geschlossenen Augen in der Badewanne, das warme Wasser umspielte weich meinen Körper. In der trägen Idylle eines Spätsommernachmittags war es im Haus angenehm still und kühl. Nur das leise Ticken der Uhr über der Badezimmertür war zu hören, das gelegentlich von dem Summen einer Fliege hinter der Fensterscheibe unterbrochen wurde. Ich hatte den ganzen Tag auf der Leiter gestanden, um die alten Pfirsichbäume abzuernten, die auf der Wiese hinter dem alten Farmhaus unter dem Gewicht der reifen Früchte fast zu brechen drohten. Stunden hatte mich der fruchtige, süße Duft der Pfirsiche betört, der sich mit dem würzigen Geruch von Rosmarin und Thymian aus dem angrenzenden Kräutergarten vermischt hatte und der immer noch an mir haftete. Eine angenehme Abwechslung zu der Wolke aus Terpentin und Ölfarben, die mich aufgrund meiner Malerei ansonsten umgab.

Ich lauschte dem Gesang einer Amsel vor dem Fenster und meine Gedanken flogen ziellos in meinem Kopf umher. Letztendlich steuerten sie alle auf genau den Punkt zu, den sie den ganzen Tag schon unterschwellig gestreift hatten – so wie an jedem einzelnen Tag, seitdem er in meinen Leben getreten war. Seit Tagen hatte ich ihn weder gesehen noch von ihm gehört. Kein Anruf, keine Nachricht – nichts! Mit jeder Stunde, die verstrich, schnitt die Sehnsucht tiefer in mein Herz, nahm mehr und mehr Raum ein, bis alles andere dahinter verschwand. Eigentlich sollte ich dieses Gefühl inzwischen gewöhnt sein, umgab es mich doch wie eine zweite Haut. Aber wie sollte ich mich daran gewöhnen, mein Herz außerhalb meines Körpers zu tragen, das er jedes Mal mit sich nahm, wenn er wieder im Nirgendwo verschwand? Zurück blieb eine eisige Leere, die ich selbst in meinen Bildern nicht auszudrücken vermochte. Jedes Mal, wenn er wieder verschwand, abtauchte, als wäre er nie ein Teil meiner Welt gewesen, nahm ich mir entschlossen vor, das nächste Mal eine Entscheidung zu erzwingen oder es zu beenden.

Und jedes Mal ließ ich ihn wieder in mein Leben, wenn er in der Tür stand, mich aus seinen strahlend blauen Augen ansah und es mich augenblicklich wieder zu ihm hinzog, wie die Motte zum Licht. Ein Blick genügte und ich spürte, wie sich alle Härchen auf meinem Körper aufstellten und mir wurde bewusst, dass ich während seiner Abwesenheit ständig den Atem angehalten hatte. Nie blieb er über Nacht, sondern verschwand immer leise in den frühen Morgenstunden, während ich noch schlief. Eine Rose lag dann stets auf dem Kissen, auf dem sich noch der Abdruck seines Kopfes abzeichnete und duftete mit seinem unverkennbaren Geruch um die Wette. Stundenlang lag ich regungslos im Bett, die Nase an ebendieser Stelle im Kissen vergraben, bis ich auch das letzte Bisschen von ihm eingeatmet hatte. Henry, dachte ich sehnsüchtig, und spürte das Echo vom Klang seines Namens tief in mir. Mein ganzer Körper schien in diesem Nachhall zu vibrieren und reagierte unmissverständlich auf jedes Detail, das mein Gedächtnis aus unzähligen Erinnerungen freigab. Selbst im Traum ließ er mich nicht los und oft wachte ich mitten in der Nacht auf, ganz sicher, dass soeben seine Stimme meinen Namen geflüstert und ich seine Lippen auf meiner Haut gespürt hatte.

Gedankenverloren beobachtete ich die Fliege an der Fensterscheibe, die der Illusion von Freiheit doch so nahe war und keinen Ausweg fand, das unsichtbare Hindernis zu überwinden. Nichts ist, wie es scheint, dachte ich bitter, als ich mich daran erinnerte, wie mich Henrys Liebe anfangs beflügelt hatte. Er hatte in mir das Gefühl wachsen lassen, dass ich mich von allen Zwängen befreien und jedes Hindernis überwinden könnte, das sich zwischen mir und meinen Träumen befand – wenn ich nur den entscheidenden Schritt über die Türschwelle wagen würde. Doch die Starre, die sich jedes Mal wieder schwer auf mich legte, wenn er verschwand, ließ mich nur dort stehen und hinausblicken, unfähig, ohne ihn diese unsichtbare Grenze zu der Fülle des Lebens zu überqueren.

Mit langsamen Bewegungen verteilte ich Seifenschaum mit einem weichen Schwamm auf meiner Haut und wünschte, seine Hand würde meiner Spur folgen…

„Was tust du da?“

Ich schnappte erschrocken nach Luft und schoss aus dem Wasser hoch. Ungläubig starrte ich zur Badezimmertür und dort lehnte er im Türrahmen. Die Kälte, die sich in meinem Inneren auch von dem warmen Badewasser hatte nicht vertreiben lassen, wich urplötzlich einem heißen Glücksgefühl. Seine blauen Augen glitzerten und eine Strähne seines hellbraunen Haares hing ihm lässig in die Stirn. Die Jeans saß tief auf seinen Hüften und unter dem engen T-Shirt zeichnete sich sein muskulöser Oberkörper ab. Das Badezimmer schien zu klein für seine Präsenz und ich bemerkte, wie die Fliege mit einem Mal durch den Spalt des gekippten Fensters ins Freie flog.

„Ich habe gerade an dich gedacht“, stammelte ich.

„Das sehe ich!“, erwiderte er und ein leichtes Lächeln umspielte seinen wunderschönen Mund.

Er nahm die Hände aus den Taschen seiner Jeans und kam mit geschmeidigen Bewegungen auf mich zu. Vor der Badewanne ging er in die Hocke, so dass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Henry legte die Hand an meine Wange und fuhr mir mit dem Daumen über die Lippen.

„Du bist wunderschön“, sagte er leise mit seiner dunklen, vollen Stimme. „Lässt du mich zu Ende bringen, was du angefangen hast?“

Ich konnte nur nicken, unfähig das Chaos in meinem Kopf zu bändigen. Ohne mich aus den Augen zu lassen griff Henry nach einem großen weichen Badetuch, zog mich aus dem Wasser und wickelte mich behutsam darin ein. Mit einer schnellen Bewegung nahm er mich auf den Arm und trug mich hinüber ins Schlafzimmer. Der späte Nachmittag warf bereits lange Schatten und tauchte den Raum in ein unwirkliches Zwielicht, in dem es nur uns beide gab. Henry stellte mich sanft auf die Füße und legte die Hand unter mein Kinn. Ich versank in seinen blauen Augen, die wie ein Spiegel meiner eigenen waren. Unsere Lippen verschmolzen miteinander und ich hätte nicht mehr sagen können, welches seine und welches meine waren. Er fasste den Saum des Handtuchs und zog es mit einem Ruck zwischen uns hervor. Achtlos warf er es auf den Boden und ließ seine Augen über meinen Körper gleiten, als wolle er seinen Händen, die dieser Spur folgten, den Weg weisen. Unsere Körper führten einen intimen Dialog und als wir später eng umschlungen, Haut an Haut, auf dem Bett lagen, bildeten sie auf perfekte Weise ein Ganzes. Jeder unserer Sinne war geschärft und wir schmeckten, fühlten, berührten und betrachteten uns, nahmen jedes Seufzen, jeden Hauch des anderen in uns auf wie eine Kostbarkeit. Nie war ich danach dieselbe wie zuvor. Nur er, er behielt selbst in Momenten der völligen Hingabe die Kontrolle – war wachsam, sprungbereit wie ein Tiger und wirkte ebenso gefährlich.

* * * *

Die Schatten wurden länger und nur noch ein paar Sonnenstrahlen schienen durch das bodentiefe Fenster. Als das Licht auf sein Haar fiel, tanzten rote und goldene Punkte darin. Henry hatte besitzergreifend sein Bein über meine Oberschenkel gelegt und an seinen ruhigen Atemzügen erkannte ich, dass er eingeschlafen war. Eine tiefe Ruhe breitete sich in mir aus und ich betrachtete sein schlafendes Gesicht, auf der Suche nach winzigen Details, die mir bis dahin vielleicht entgangen waren. Ich fühlte mich so sicher und geborgen in seinen Armen, dass ich mich von hier aus ohne zu Zögern auf jedes Abenteuer eingelassen hätte, das mir das Leben bot.

Plötzlich meinte ich, aus den Augenwinkeln eine kleine Bewegung vor dem Fenster wahrzunehmen und schreckte zusammen. Schon während der letzten Wochen hatte ich hin und wieder das irritierende Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Ich hob sacht den Kopf und starrte zum Fenster, wo ich ganz deutlich den Umriss einer Person erkannte, die sich dunkel hinter der sacht schwingenden, weißen Gardine abzeichnete. Ruckartig setzte ich mich auf und Henry schoss augenblicklich neben mir in die Höhe.

„Was ist?“, fragte er scharf.

„Da ist jemand, dort vor dem Fenster. Seit Wochen habe ich immer mal das Gefühl, beobachtet zu werden.“

Ich hatte noch nicht ausgesprochen, da war er mit einem Satz aus dem Bett, in seiner Jeans und auf dem Weg auf die Veranda, die vor meinem Schlafzimmer verlief. Wie ein Panther bewegte er sich fast geräuschlos und ich hörte nur das leise Klappen der Hintertür. Vielleicht hatte mir meine Fantasie nur einen Streich gespielt oder ich war schlichtweg überarbeitet. Ich hatte in den letzten Wochen eine Ausstellung meiner Bilder in einer kleinen Galerie vorbereitet und das Atelier kaum verlassen. Ich war überreizt und hatte mich vor Sehnsucht nach Henry kaum konzentrieren können – kein Wunder also, das meine Nerven blank lagen.

Kurz darauf kehrte er zurück und lief unruhig auf und ab. Fragend sah ich ihn an. „Und?“

Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und sah wachsam aus dem Fenster. „Ich habe niemanden gesehen, aber das Tor neben der Garage stand offen – gut möglich, dass sich jemand da herumgetrieben hat.“ Henry sah mich eindringlich an. „Du musst vorsichtiger sein!“

Ich streckte die Arme nach ihm aus und er ließ sich widerstrebend auf das Bett nieder, sein Blick wanderte immer wieder zum Fenster. „Dann bleib’ bei mir!“

Er zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte leicht den Kopf. „Ich kann nicht!“

Unerbittlich zog ich ihn zu mir und fuhr mit der Hand die feinen Linien um seinen Mund nach. „Warum nicht? Was verbirgst du vor mir?“ Ich küsste ihn zärtlich auf die Lippen. „Wo sollte ich sicherer sein als in deinen Armen?“

Henry seufzte tief. „Das verstehst du nicht. Ich sollte mich soweit wie möglich von dir fernhalten.“

Wild schüttelte ich den Kopf. „Nein! Ich hasse es! Ich hasse es, wenn du verschwindest, wenn ich nicht weiß, wann du wiederkommst oder wo du bist“, stieß ich leidenschaftlich hervor.

Unsicherheit flackerte in seinen Augen auf, bevor sein Gesicht jenen verschlossenen Ausdruck annahm, den ich nur allzu gut kannte. „In Gedanken bin ich hier – immer! Du musst mir vertrauen, Cassie!“

Ich starrte zum Fenster und spürte, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. „Und warum?“

Die Matratze gab unter seinem Gewicht nach, als er sich aufsetzte. Sein Blick war ernst. „Weil ich dich liebe und nur das Beste für dich will! Du bist mein Leben, auch wenn ich es nicht so mit dir teilen kann, wie ich gerne möchte. Aber meinen Dämonen muss ich alleine begegnen.“ Henry beugte sich vor und küsste mich zart auf die Stirn. „Ich muss los …“

Ich schreckte hoch. „Nein, bitte … Bitte nicht“, verlor sich meine Stimme, als der altvertraute Schmerz wieder nach mir griff.

Er stand auf und ich bemerkte den gequälten Ausdruck in seinen Augen. „Es tut mir leid.“

An der Tür drehte er sich noch einmal um und hüllte mich ein mit seinem intensiven Blick – dann war er fort. Ich lauschte auf den Klang seiner Schritte, hätte meine Seele an den Teufel verkauft, wenn er umgekehrt wäre, aber da erklang schon das dunkle Dröhnen des Motors. Ich rollte mich klein zusammen, um dem heftigen Schmerz, der an mir zerrte, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten und versuchte zu atmen – mehr nicht. Solange ich noch atme, ist alles gut, waren meine letzten Gedanken, bevor mich der Schlaf endlich erlöste.

* * * *

Am nächsten Morgen erwachte ich benommen und fühlte mich der gnadenlosen Realität des Alltags schutzlos ausgeliefert. Irritiert bemerkte ich den schwachen Duft von Rosen, der in der Luft hing und sah zum Fenster. Das fröhliche Vogelgezwitscher, das von draußen hereindrang, schien die lähmende Verzweiflung in meinem Inneren zu verhöhnen. Regungslos lag ich im Bett und starrte an die Decke. Irgendwann reagierte mein Körper automatisch und richtete sich auf. Als müsste ich jedes Mal wieder laufen lernen ohne ihn, setzte ich einen Fuß vor den anderen, bis ich in der Küche angekommen war. Ich betätigte den Schalter an der Kaffeemaschine und beobachtete teilnahmslos, wie mit einem lauten Brummen frischer, duftender Kaffee in eine bunte Tasse lief, von der ich mich nicht erinnern konnte, sie aus dem Schrank genommen zu haben. Keine Erinnerungen, am besten nie wieder.

Die nächsten Tage verbrachte ich wie im Trance. Nachts lag ich mit offenen Augen im Bett, suchte nach Ruhe und Schlaf und fand nur eine Taubheit in mir, die sogar meinen Herzschlag zu dämpfen schien. Wie hielt er das nur aus und wovor versteckte er sich, wenn er verschwand? Oder versteckte er am Ende gar … mich? War dieser Zauber, der uns umgab, nur eine Illusion, in die er sich aus einem Leben flüchtete, das banal und alltäglich war und das ihn dennoch fest an sich gebunden hatte?

Aus Tagen wurde eine Woche, dann zwei und schließlich hörte ich auf zu zählen. Wie Splitter bohrte sich jeder neue Tag ohne Henry in mein Herz, das stotternd und stolpernd versuchte, einen eigenen Rhythmus zu finden, da das Seine keinen mehr vorgab. In Gedanken versunken saß ich mit einem Kaffee auf der Veranda und starrte blicklos in den Garten. Plötzlich lief ein Prickeln über meinen Körper und ich hatte das sichere Gefühl, beobachtet zu werden. Er ist zurück, schoss es mir durch den Kopf und ich sah mich aufgewühlt um. Gleich würde er mit seinem leichten Gang durch das Gartentor kommen und meine Welt wäre wieder heil. Doch da war niemand … Ich stand auf und lief bis zum Gartenzaun, suchte mit den Augen jeden einzelnen Baum auf der Wiese ab, drehte mich um die eigenen Achse und wollte mir die Niederlage meines Irrtums nicht eingestehen, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung neben dem Haus wahrnahm. Wie erstarrt blieb ich stehen, als eine Frau aus dem Schatten trat, bei deren Anblick ich unweigerlich an Pocahontas denken musste. Sie hatte lange, glatte, fast schwarze Haare, dunkle, mandelförmige Augen und olivfarbene Haut. Sie kam mir vage bekannt vor und ich kramte in meinem Gedächtnis, wo ich sie schon einmal gesehen hatte.

„Guten Tag“, sagte sie mit einem weichen Timbre in der Stimme. „Ich wollte Sie nicht erschrecken, aber da wir sozusagen Nachbarn sind, dachte ich, ich sage einfach mal ‚Hallo’. Wir sind uns schon einmal begegnet, erinnern Sie sich?“

Da fiel es mir wieder ein. Ich hatte sie beim Stadtfest gesehen, wo sie als eine der neuen Grundschullehrerinnen vorgestellt worden war. An ihren Namen konnte ich mich nicht erinnern, wohl aber an die vielen Spekulationen, die aufgrund ihres exotischen Aussehens angestellt worden waren. Sie wirkte distanziert und geheimnisvoll; den ganzen Tag hatte sie kaum ein Wort mit jemandem gewechselt, sondern das rege Treiben nur aus ihren dunklen, unergründlichen Augen beobachtet.

Ich unterbrach meine Gedanken und nickte. „Ja, sicher. Ich erinnere mich. Ich bin Cassie.“

Sie griff nach meiner Hand und hielt sie einen Moment lang fest. „Ich weiß! Mein Name ist Kaya.“

Der intensive Blick ihrer Augen machte mich nervös. Sie wirkten gespenstisch, wie zwei schwarze Teiche – tief und bodenlos. Fast schien es mir, als würde ihr Daumen zart über mein Handgelenk streichen und ich zog meine Hand erschrocken zurück. Mit einem Schritt brachte ich wieder etwas Distanz zwischen uns und zeigte unbestimmt auf die Terrasse. „Möchten Sie etwas trinken? Kaffee vielleicht?“

Sie nickte. „Sehr gerne. Aber ich will Sie nicht stören.“

„Sie stören nicht!“, erwiderte ich hastig, trotz aller Nervosität froh, dass meine Einsamkeit von einer Laune des Schicksals so abrupt unterbrochen wurde. „Setzen Sie sich doch, ich bin gleich wieder da.“

Kaya folgte mir die drei Stufen hinauf auf die Terrasse und ließ sich vorsichtig auf eines der alten Rattansofas nieder, während ich im Haus verschwand. Diese Begegnung brachte mich durcheinander, ohne dass ich genau hätte sagen können, warum. Sie war anders, exotisch und obwohl sie sich sehr kontrolliert gab, strahlte sie eine sinnliche Anmut aus. Durch die Küchentür sah ich, wie Kaya sich bückte und ein paar Blätter vom Boden aufhob. Der Saum ihres kurzen Kleides rutschte nach oben und gab den Blick auf ein paar lange, braungebrannte Beine frei. Irritiert wandte ich mich ab und plötzlich schob sich Henrys Gesicht vor meine Augen. Ich fühlte mich zittrig und schwach. Rasch belud ich ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee, Milch, Zucker und einer Schale Erdbeeren, dann trat wieder auf die Terrasse.

„Vielen Dank!“

Kaya griff nach ihrer Tasse und nahm einen großen Schluck Kaffee – schwarz, wie ihre Augen. Ein dunkler Tropfen blieb an ihrer Oberlippe hängen und sie fing ihn mit der Zunge auf. Wie hypnotisiert verharrte mein Blick an ihrem Gesicht, bis mir bewusst wurde, was ich da tat. Verstört wollte ich die Augen abwenden, aber Kaya fing meinen Blick auf, hielt ihn fest und ich verlor mich fast in der bodenlosen Schwärze ihrer Augen.

Sie räusperte sich. „ Sie leben alleine hier?“, fragte sie abwartend.

Ich fuhr mir mit den Händen durch die Haare und nickte. „Ja, ich lebe alleine… Also meistens. Mein Freund … na ja, es ist kompliziert.“

Sie lachte leise. „Wann ist es das nicht?“

Ich seufzte. „Ja, da haben Sie wohl recht.“ Wieder betrachtete ich ihr ebenmäßiges Gesicht. „Und Sie?“

Ein harter, verschlossener Ausdruck trat in ihre Augen. „Ich lebe allein! Und das ist auch gut so! Niemandem werde ich mehr Macht über mein Leben zugestehen.“

* * * *

Während wir uns unterhielten, ging die Sonne langsam unter. Ich zündete die Kerzen auf dem Tisch an und die Flammen knisterten leise.

„Erzähl mir von ihm!“, sagte Kaya unvermittelt.

Ehe ich mich daran hindern konnte, brach die ganze Geschichte aus mir heraus. Ich redete und redete, lud meine ganzen Empfindungen, meine Wut, meinen Schmerz und meine Verzweiflung bei ihr ab – und die ganze Zeit blieb ihr Gesicht merkwürdig unberührt. Nur das Kerzenlicht spiegelte sich in ihren dunklen Augen.

„Du bist viel alleine“, stellte sie leise fest.

„Ja!“, antwortete ich ebenso leise.

Sie beugte sich vor und griff nach meiner Hand. „Er ist nicht gut für dich.“

Ihr Daumen streichelte zart über meinen Handrücken und hinterließ ein angenehmes Kribbeln.

„Ich liebe ihn“, sagte ich schlicht.

„Aber du bist nicht glücklich!“ Das war eher eine Feststellung als eine Frage. Ihre Stimme glich einem hypnotischen Singsang und ich senkte den Blick. Das Streicheln ihrer Hand brachte etwas in mir zum Klingen und tröstete mich.

Als ich aufsah, war Kayas Gesicht plötzlich ganz nahe und ich nahm den schwachen Geruch von Rosen wahr, der sie ständig zu umgeben schien. Sie fuhr mir mit dem Daumen langsam über die Lippen; wie Henry – federleicht und unglaublich sexy.

Panik macht sich in mir breit. Was tat ich hier? Kaya beobachtete mich und hielt meinen Blick gefangen. „Hab’ keine Angst… Du kannst mir vertrauen.“

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie legte mir leicht den Finger auf die Lippen. „Cassie … Ich konnte dich weinen hören in der Nacht – und in so vielen Nächten davor. Das hast du nicht verdient – niemand verdient so etwas!“, stieß sie leidenschaftlich hervor.

Der Schreck fuhr mir durch alle Glieder. Hatte sie mich beobachtet? War sie es gewesen, deren Blick ich in den letzten Wochen so oft in meinem Rücken gespürt hatte? Hatte sie vor dem Fenster gestanden, als Henry und ich … Ich sollte nicht so empfinden, doch unerwartet fühlte ich mich fiebrig und erregt und konnte meinen Blick nicht von ihren vollen, roten Lippen lösen.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, stotterte ich.

„Ich weiß!“ Ihr Finger tauchte in meine feuchte Mundhöhle und unwillkürlich ließ sich meine Zunge auf dieses Spiel ein.

„Ich weiß so viel mehr vor dir als du dir vorstellen kannst. Du wirkst so verletzlich, wenn du schläfst.“

Ich versuchte klar zu denken. Sie war nachts in meinem Haus gewesen, während ich schlief … Rosen, dachte ich alarmiert und versuchte, den watteartigen Nebel aus meinem Kopf zu vertreiben. Ich musste das hier beenden – sofort, aber alles um mich herum schien sich in unscharfe Konturen aufzulösen. Ich schloss die Augen und spürte, wie sich ihre Lippen federleicht auf meine legten. Ihr Körper fühlte sich fremd und gleichzeitig so vertraut an. Scheu fuhr ich mit meiner Hand an ihrer schlanken Silhouette entlang und es war, als liebkoste ich mich selbst.

Kaya löste sich ein Stück von mir und ihr Blick streichelte mein Gesicht. Sie legte die Hände leicht um meinen Hals, so dass ihre Daumen in der kleinen Mulde unter meinem Kehlkopf lagen. „Dein Puls flatterte wie ein kleiner Vogel. Du wirst mir doch nicht davonfliegen, oder Cassie?“

Als ich nicht reagierte, verstärkte sie den Druck und ich schnappte nach Luft. „Oder Cassie?!“

Benommen von der Eindringlichkeit in ihrer dunklen Stimme schüttelte ich nur stumm den Kopf. Es war mittlerweile dunkel geworden und unsere Schatten waren im Licht der Kerzen zu einem einzigen verschmolzen. Glühwürmchen tanzten über den Büschen und schienen uns wie kleine winzige Augenpaare in der Dunkelheit zu beobachteten. Kaya löste die Hände von meinem Hals und ließ sie tiefer gleiten. Mein ganzer Körper schien unter ihrer Berührung zu erbeben und ich hörte sie leise lachen. Die verstörende Erotik, die von dieser Frau ausging, zog mich magisch in ihren Bann. Ich wollte ihren Mund, ihre Hände auf meinen Körper spüren und gleichzeitig jeden Zentimeter ihrer glänzenden, braunen Haut erforschen.

Wie durch Zauberhand verschwanden unsere Kleider und sie drückte mich leicht in die Kissen zurück. Sie griff nach einer Erdbeere aus der Schale auf dem Tisch und schob sie zwischen meine Lippen. Während ich die süße Frucht auf meiner Zunge schmeckte, küsste sie mich leidenschaftlich. Ich konnte spüren, wie das Fruchtfleisch aufplatzte und mir der Saft der reifen Beere aus den Mundwinkeln den Hals hinablief. Mit quälender Langsamkeit folgte ihre Zunge den roten Tropfen, während ihre Zähne leicht in meine Haut bissen. Unsere Lippen und Hände gingen auf Entdeckungsreise und berührten federleicht jeden Zentimeter Haut. Kaya hielt mir eine weitere Erdbeere an die Lippen und ich nahm sie gierig in Empfang. Süßer Brei sammelte sich in meinem Mund, doch ich war unfähig zu schlucken. Langsam glitt sie auf meinem Körper nach unten, fand meine intimste Stelle und nahm mich völlig in Besitz. Ich flog höher, als jemals zuvor, während ich in einem Strudel aus Farben explodierte und sich mein Körper in einer Ekstase auflöste, die einer Naturgewalt gleichkam.

Ich nahm kaum wahr, wie Kaya sich zurückzog. Plötzlich war sie über mir, flüsterte mit dunklem Blick meinen Namen und legte die Hände wieder um meinen Hals. Wie aus dem Nichts tauchte unvermittelt Henrys Gesicht vor mir auf und ich glaubte, kaum atmen zu können. Was hatte ich nur getan?

„Jetzt sind hier nur du und ich, Cassie!“, keuchte sie und ihre Augen glitzerten. „Früher hatte ich ein anderes Leben, ein Leben mit ihm. Als er ging, wollte ich sterben. Ich ging durch die Hölle und zurück. Aber dann habe ich ihn wiedergefunden und wurde zu seinem schlimmsten Albtraum! Egal, wo er sich vor mir auch versteckt, ich finde ihn immer wieder.“

Kayas Augen glühten fanatisch und ihr Gesicht kam näher. „Und auch sie habe ich alle gefunden! Jede Einzelne von ihnen. Ich erspare ihnen den Schmerz, den er jeder dieser Frauen früher oder später zufügen würde, wenn er geht. Ich schütze ihre Seele und ihr Herz.“

Mein Sichtfeld engte sich immer weiter ein. Ihre langen, glatten Haare fielen über mein Gesicht wie ein Vorhang.

„Du und ich, wir sind jetzt eins. Niemand wird dich je wieder verletzen, weder dein Herz noch deine Seele. Und ich werde dich immer in mir tragen.“

Ihre Worte ergaben keinen Sinn und das Blut rauschte in meinen Ohren. Wieder lagen ihre Daumen in der Mulde unterhalb meiner Kehle und der feste Druck ihrer Hände ließ mich keuchen. Ich versuchte, sie abzuwehren und diese lähmende Benommenheit abzuschütteln, doch mein Körper gehorchte mir nicht. Kayas dunkle Augen waren weit aufgerissen, ihr Blick verlor sich irgendwo über meinem Kopf. Henry, dachte ich verzweifelt, wo bist du? Da tauchte sein Gesicht wieder am Rande meines Blickfeldes auf und ich las blankes Entsetzen in seinen Augen.

Mir wurde schwarz vor Augen und mein Brustkorb schien zu zerbrechen. Als ein Stöhnen über meine Lippen kam, sah ich undeutlich Kayas triumphierendes Lächeln und die kalte Wut in Henrys Gesicht, das wie aus dem Nichts hinter ihr auftauchte. Er riss die Arme über den Kopf und plötzlich zischte etwas durch die Luft. Jemand schrie meinen Namen, immer wieder und wieder. Ich hörte einen dumpfen Schlag und fiel ins Bodenlose. Tauchte ab in eine Schwärze, aus der es kein Entrinnen mehr zu geben schien und die mich unwiderruflich in sich verschlang …

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