Eine neue Zeitrechnung beginnt – oder: Hilfe, ich bin ein Frauchen!

Seit gut einem Dreivierteljahr bin ich nun ein „Frauchen“ und ich ertappe mich tatsächlich dabei, wie ich meinem Hund gegenüber in einem teilweise recht merkwürdigen Singsang von mir in der dritten Person spreche – zum Glück meistens unbeobachtet. Allerdings hätte ich schwören können, dass er gestern beim Spielen mit einem Mops aus der Nachbarschaft genau in einem solchen Moment mit den Augen gerollt und peinlich berührt den Fahrradständer neben dem Bolzplatz markiert hat. Eine klassische Übersprungshandlung, ausgelöst durch meine verbale Gefühlsduselei, wo ich doch allzeit souverän und tonangebend Herr bzw. Frau der Lage sein sollte. Man sagt ja gerne, dass man sich zwar einen Hund aussuchen kann, aber nur im Idealfall bekommt man zu dem Hund, den man haben möchte tatsächlich auch den, der zu einem passt.

Auf den ersten Blick drängt sich diese Tatsache bei Lennox und mir nicht unbedingt auf. Mein Hund ist ein Energiebündel mit agilem, federndem Gang, einem schwarzweißen Fell, das glänzt wie Seide und selbst nach einem mehrstündigen Spaziergang im Dauerregen nach kurzem Aufschütteln wieder aussieht wie die fluffige Mähne von Heidi Klum nach Regen, Wind und Sonne in der Drei-Wetter-Taft-Reklame. Zu seinem wundervollen Wesen ist er zu meiner großen Freude quasi selbstreinigend, es sei denn, es gab während der Gassi-Runden unplanmäßige Begegnungen mit Matschpfützen oder Misthaufen. Gerade letztere tauchen immer wieder unvermutet an unterschiedlichen Stellen auf den umliegenden Feldern auf wie eine Wanderdüne.

Es gibt zu solchen Hunden auch die passenden Frauchen, die durch lässigen Style und modisches Unterstatement glänzen, was ich gerade kürzlich auf meiner Lieblingsnordseeinsel erlebt habe. Diese betreten nach einem Strandspaziergang bei Windstärke 7 und Nieselregen das Strandcafé in sauberer und sandfreier Kleidung, die auch nicht auf den ersten Blick als „Funktionsbekleidung“ zu erkennen ist und präsentieren nach Absetzen der Strickmütze mit Kunstpelzbommel eine perfekt frisierte Haarpracht, die – ebenso wie bei meinem Hund – maximal ein kurzes Aufschütteln erfordert. Sie sind ohne großen Aufwand bereit für die nachmittägliche Teezeremonie und können kritiklos jede Teestube betreten, weil sie nach dem Aufenthalt mit ihrem Vierbeiner am Strand nicht aussehen wie eine sandpanierte Nordseescholle.

Mein Hund, die Schleppleine, meine Haare und ich

Dann gibt es mich… Meine wind- und wettergerechte Funktionskleidung sieht schon nach den ersten Metern aus, als hätte ich mich bis zur Hüfte in einem Schlammloch gesuhlt, weil ich mich regelmäßig in der matschverschmierten 5-Meter-Schleppleine einwickele wie eine schlecht verschnürte Roulade.

Auch meine Haare, die bei nasskalter Witterung ihre irrsinnige Veranlagung zu halbherzigen Naturlocken ungehemmt ausleben, tragen nicht wirklich zu einer optischen Verbesserung bei. Das Tragen von Mützen empfinde ich in meinem Fall ohnehin schon als unvorteilhaft. Befindet sich diese Kopfbedeckung jedoch länger als eine halbe Stunde auf meinem Kopf, erfinden meine Haare eine ganz und gar unglückselige Kombination. Dafür arbeiten sie gerne im Team, was bedeutet, der obere Teil, der sich unter der Mütze befand, klebt plattgebügelt am Kopf, während sich der untere Teil ringelt und in alle Richtungen absteht. Der Versuch, diesen Zustand durch Aufschütteln zu verbessern, erweckt eher den Eindruck, ich hätte mit feuchten Fingern in die nächstbeste Steckdose gegriffen.

Ein weiterer Unterschied zwischen uns ist außerdem, dass Lennox über deutlich mehr Sehschärfe verfügt als ich, sprich, er hat Augen wie ein Adler. Vögel, Hasen und mikroskopisch kleine Feldmäuse erkennt er auf eine Distanz, auf der sich eine Wiese für mich lediglich als einheitlich grüne Fläche präsentiert. Denke ich tatsächlich mal an meine Brille, grenzen die vielen neuen Eindrücke für mich schon fast an Reizüberflutung. Angenehm für Menschen in meinem Umfeld ist sicherlich, dass sie für mich kaum wahrnehmbar altern, weil ich die Welt stets durch eine Art „Weichzeichner“ betrachte.

Lennox, übrigens ein Bordercollie, falls das noch nicht deutlich geworden sein sollte, zeichnet sich auch durch überdurchschnittlich hohe Intelligenz aus. Die Übungen im Junghundekurs absolvierte er oft schon beim ersten Mal fehlerfrei und saß geduldig neben seinem Kegel, während mir die nette Hundetrainerin die Reihenfolge noch einmal ohne das lebende Objekt erklärte. Ich brauche eben gelegentlich zur visuellen Einführung auch eine gewisse praktische Anleitung, aber dann läuft’s.

Ich gehöre auch nicht wirklich zu den Menschen, die bei ungemütlichen Wetterbedingungen gerne Sport im Freien treiben. Generell ist Sport für mich ein notwendiges Übel, um den Alterungsprozess und die damit verbundene erhöhte Bereitschaft zur Gewichtszunahme in Schach zu halten. Laufen gehe ich nur deswegen regelmäßig, weil diese Sportart keine langfristige Planung erfordert und ich Anfällen von hyperaktivem Bewegungsdrang spontan nachgeben kann, bevor mein innerer Schweinehund mitbekommt, was ich vorhabe und erschrocken aufschreit. Anders als bei mir spielen für meinen Hund die optimalen Bedingungen in Form von „nicht zu kalt, nicht zu heiß, nicht zu windig, kein Regen und erst recht kein aufziehendes Gewitter im Umkreis von 100 Kilometern“ nur eine sehr untergeordnete Rolle.

„Raus“ ist prinzipiell klasse, steht für Rennen, Toben, Spielen, Schnüffeln und ganz viele kleine und große Abenteuer, die sich rund um Mauselöcher und Maulwurfhügel verstecken und die es zu entdecken gilt. Auf meine Frage bei Minusgraden und Nieselregen, ob er denn wirklich „raus“ wolle, wo wir uns doch auch gemütlich auf der Couch eine Folge „Lassie“ anschauen könnten, steht er als Antwort schwanzwedelnd mit der Leine im Maul im Flur.

Er sieht mit dem Herzen

Aber es gibt viele Momente, in denen ich genau weiß, warum dieses wunderbare Tier ausgerechnet bei mir gelandet ist. Als ein von Selbstzweifeln geplagter Mensch gibt es niemanden, der härter mit mir ins Gericht geht als ich selbst. Wenn ich nach einer Gassi-Runde verdreckt, zerzaust und ohne die geringste Ähnlichkeit mit meinem Alltags-Ich erschrocken vor dem Spiegel im Flur stehe, von Versagensängsten geplagt an meinem Schreibtisch sitze und wieder einmal finde, dass die Texte anderer Autoren viel aussagekräftiger, witziger, gefühlvoller oder intellektuell anregender sind als meine, mein Übergewicht zu Frühlingsbeginn beklage oder damit hadere, dass ich trotz der besten Organisation vierzwanzig Stunden am Tag im Dauerstress bin, dann legt sich ein schwarzweißer Hundekopf auf mein Bein und ein blaues und ein braunes Auge schauen mich voller Hingabe an.

Lennox findet generell alles toll, was ich tue und selbst wenn ich völlig unsinnige Dialoge laut vor mich hinspreche, haftet sein Blick in grenzenloser Bewunderung an mir. Fühle ich mich in einer Situation unwohl, bleibt er ohne gut gemeinte Ratschläge einfach dicht an meiner Seite, ohne dass ich ein Wort sagen oder nach Begründungen suchen muss, warum das so ist. Er begegnet allen Menschen grundsätzlich freundlich und ohne Vorurteile, egal ob sie nach gesellschaftlichen Maßstäben etwas Besonderes sind oder nicht. Es versetzt mich immer wieder in Erstaunen, dass es für Lennox offensichtlich ausreicht, dass ich einfach nur „Ich“ bin – egal, ob er die neue Waschmaschine ohne Lesen der Gebrauchsanleitung hätte deutlich schneller bedienen können als ich.

Seinen 1. Geburtstag am 02. April haben wir mit Käsehäppchen, einem Kauknochen und dem Besuch einer großen Pfütze gefeiert. Während ich danach duschen gegangen bin, lag mein Hund mit einem zufriedenen Seufzer in der Badezimmertür und vermittelte glaubhaft das zutiefst beruhigende Gefühl: das Leben ist schön! J

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